Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung enthält einiges zum Thema Kinderrechte. Unter dem Titel “Mehr Fortschritt wagen” versammeln sich viele Vorhaben, die die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland voranbringen könnten.

Doch bedeutet mehr Fortschritt wagen auch mehr Kinderrechte wagen? Wir haben den Koalitionsvertrag unter die Lupe genommen und entlang der kinderrechtlichen Themen aus dem letzten Ergänzenden Bericht des Netzwerks Kinderrechte an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes analysiert. In einem Padlet haben wir alle kinderrechtlich relevanten Textstellen zusammengetragen und zusammengefasst, was die Ampel zur Verwirklichung der Kinderrechte auf den Weg bringen will. 

Allgemeine Maßnahmen zur Durchsetzung und Allgemeine Grundsätze

Ein Thema, das vielen Menschen in unserem Netzwerk und darüber hinaus am Herzen liegt und uns schon lange begleitet, wird explizit im Koalitionsvertrag aufgenommen: die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz.

Wir wollen die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz verankern und orientieren uns dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention.” (S.98)

Auch der Ausbau des Monitorings zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und die Entwicklung eines Nationalen Aktionsplans für Kinder- und Jugendbeteiligung sollen in dieser Legislaturperiode allgemein zur Umsetzung der Kinderrechte beitragen.

Der Koalitionsvertrag thematisiert darüber hinaus das Recht der Kinder auf Nicht-Diskriminierung und den übergreifenden dritten Artikel der Kinderrechtskonvention – das Wohl des Kindes, welches als zentral für die Modernisierung des Familienrechts gesetzt wird. Wie bereits im Kinderrechte-Kompass anlässlich der Bundestagswahl abgefragt, plant die Ampel-Koalition, dass Heim- und Pflegekinder in Zukunft nicht mehr von ihren Einkünften zu den Kosten ihrer Unterbringung beitragen müssen. Um die Meinung von Kindern zukünftig mehr zu berücksichtigen, sollen bestehende Beteiligungsstrukturen gestärkt werden und Qualitätsstandards für wirksame Beteiligung besser bekannt gemacht werden.

Bürgerliche Rechte und Freiheiten und Ökologische Kinderrechte

Um Kindern einen besseren Zugang zu Informationen zu geben, plant die Koalition, Kinder und Jugendliche mit einer Kampagne über ihre Rechte und Beschwerdemöglichkeiten bei Rechtsverletzungen zu informieren. Außerdem wird ein starker Fokus auf digitale Teilhabe gelegt, zum Beispiel mit der Prüfung einer Bundeszentrale für digitale Bildung, der Weiterentwicklung der digitalen Lehre im Hochschulbereich oder der Stärkung der Medienkompetenz bei der frühkindlichen Bildung. Auch eine Einführung des Wahlrechts für junge Menschen ist geplant:

Wir werden das aktive Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament auf 16 Jahre senken. Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das aktive Wahlalter für die Wahl zum Deutschen Bundestag auf 16 Jahre zu senken.” (S.12.)

Obwohl ökologische Kinderrechte noch nicht explizit im 5./6. Monitoringbericht der Zivilgesellschaft aufgegriffen wurden, sind sie heute dennoch sehr wichtig für die Umsetzung der Kinderrechte und des Kindeswohls. Der Koalitionsvertrag erkennt diese Relevanz an und widmet dem Klimaschutz und dem Pariser Klimaabkommen sowie den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen mehrere Abschnitte und thematisiert die Generationengerechtigkeit.

Die 17 Globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) sind Richtschnur unserer Politik. Damit schützen wir die Freiheit und Chancen jetziger und kommender Generationen.” (S.36)

Schutz vor Gewalt und besondere Schutzmaßnahmen

Der Schutz von Kindern ist eine der drei Prioritäten der UN-Kinderrechtskonvention. Kinderschutz muss auf allen Ebenen und in allen Bereichen mitgedacht und umgesetzt werden. Im Koalitionsvertrag finden sich Verweise zum Schutz von Kindern vor Missbrauch und Vernachlässigung sowie vor sexualisierter Gewalt. Ein Fokus liegt auf dem Schutz vor Drogenmissbrauch (Alkohol- und Nikotinprävention).

Unter besonderen Schutzmaßnahmen fasst der Monitoringbericht die Situation von besonders schutzbedürftigen Kindern, das heißt in diesem Fall der Schutz der Rechte geflüchteter Kinder und Jugendlicher. Im Koalitionsvertrag finden sich viele Maßnahmen zum Schutz geflüchteter Menschen in Deutschland. Kinder und Jugendliche werden dabei auch explizit genannt, beispielsweise bei den Themen Integration, Familienzusammenführung, Asyl- und Bleiberecht sowie Zurückweisung und Abschiebung. 

Das Konzept der AnkER-Zentren wird von der Bundesregierung nicht weiterverfolgt.” (S.140)

Behinderung, grundlegende Gesundheit und Wohlfahrt

Ganz im Sinne des Rechtes auf Nicht-Diskrimininierung und Artikel 23 der Kinderrechtskonvention thematisiert der Koalitionsvertrag auch die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen. Hier soll die Inklusion vorangetrieben werden, insbesondere durch die partizipative Entwicklung eines Aktionsplans, der sie eine stärkere Barrierefreiheit des Gesundheitssystems als Ziel nimmt und die Diversität der Menschen in diesem System berücksichtigt. Bezüglich des Rechtes der Kinder auf Leben und Gesundheitsvorsorge nimmt sich die Koalition vor, die gesunde Ernährung und Umgebung von Kindern zu fördern und den Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung inklusive einer bundesweiten Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen voranzutreiben. Nicht zuletzt enthält der Koalitionsvertrag bereits erste Konkretisierungen zur geplanten Kindergrundsicherung zur Bekämpfung von Kinderarmut.

 

Wir wollen mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen. Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen und setzen dabei insbesondere auch auf Digitalisierung und Entbürokratisierung. Wir werden Kitas, Schulen und sonstige Angebote der Bildung und Teilhabe sowie Mobilität weiter stärken.” (S.100)

Bildung, Freizeit und kulturelle Aktivitäten

Das Recht der Kinder auf Bildung beinhaltet sehr viele Aspekte, von denen einige auch im Koalitionsvertrag angenommen wurden: So finden sich Verweise zum Ausbau der Kitas und der Stärkung der frühkindlichen Bildung allgemein sowie zur Ganztagsbildung. Außerdem werden Bildungsgerechtigkeit, die Digitalisierung an Schulen und die Reform des BAföGs thematisiert. Die Zusammenarbeit im Bildungswesen soll sowohl auf internationaler, vor allem europäischer Ebene, als auch zwischen den Bundesländern gestärkt werden.

Fazit

Insgesamt haben viele der Vorhaben im Koalitionsvertrag das Potenzial, die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland voranzubringen. Ob mehr Fortschritt wagen tatsächlich auch mehr Kinderrechte wagen bedeutet, wird sich in den nächsten vier Jahren zeigen, wenn der Koalitionsvertrag in die Tat umgesetzt wird. Die neue Bundesregierung wird im September 2022 vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Bericht erstatten. Es wäre ein gutes Signal, wenn hier über erste konkrete Maßnahmen berichtet werden kann!

Alle Themen finden sich noch einmal ausführlich und mit den entsprechenden Zitaten aus dem Koalitionsvertrag auf dem Padlet zum Nachlesen.