Forderungen anlässlich der 30. Weltklimakonferenz
- Nationale Klimaschutzbeiträge (NDCs), Anpassungsstrategien (NAPs) und Monitoringsysteme an den Interessen von Kindern und Jugendlichen ausrichten.
- Kinder und Jugendliche kinderrechtsbasiert an Entscheidungsprozessen der Klimapolitik beteiligen.
- Klimafinanzierung an den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen ausrichten.
- Verluste und Schäden für Kinder und Jugendliche kompensieren.
- Kinderrechte im Kontext klimabedingter Migration konsequent berücksichtigen.
Die Klimakrise ist eine Kinderrechtskrise
Der Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen ist untrennbar mit dem Schutz unseres Planeten verbunden. Kinder und Jugendliche machen ein Drittel der Weltbevölkerung aus und sind überproportional von den Folgen des Klimawandels betroffen. Weltweit leben über eine Milliarde von ihnen in Ländern, die den Auswirkungen des Klimawandels in besonderem Maße ausgesetzt sind. 88 % klimabedingter Gesundheitsrisiken betreffen Kinder unter fünf Jahren. Hitze, Überschwemmungen, Luftverschmutzung und andere Umweltbelastungen können insbesondere für Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere lebenslange Folgen für Gesundheit, Bildung und Entwicklung haben. Kinder sind außerdem von klimabedingter Migration besonders stark betroffen – durch den Verlust von Heimat, Schulbildung, Gesundheitsversorgung und Schutzstrukturen. Zwischen 2016 und 2021 wurden weltweit 43,1 Millionen Kinder durch wetterbedingte Katastrophen zur Migration gezwungen.
Diese Bedrohungen betreffen nicht nur den Globalen Süden – auch Kinder in Europa sind zunehmend mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert. In vielen europäischen Regionen haben Zahl und Intensität von Hitzewellen deutlich zugenommen – mit wachsendem Risiko für Hitzestress, Dehydrierung und Atemwegserkrankungen bei Kindern. Die Studien sind alarmierend: 2024 war sowohl in Deutschland als auch in Europa das wärmste Jahr seit Beginn regelmäßiger Messungen.3 Gleichzeitig bedrohen zunehmende Starkregenereignisse und Flusshochwasser Wohnraum, Infrastruktur und Schulwege insbesondere in dicht besiedelten Gebieten. Gesundheit und Ernährungssicherheit werden zunehmend auch durch schleichende Veränderungen wie Bodendegradation oder Wasserknappheit gefährdet.
Ein ambitionierter Klimaschutz in Europa ist daher nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch eine Investition in das Wohl und die Zukunft der jungen Generation.
In diesem Jahr wird das Klimaabkommen von Paris zehn Jahre alt. Mit den aktuellen politischen Zusagen steuern wir auf 2,6 bis 3,1 °C globale Erwärmung zu.4 Würde das Ziel des Abkommens – die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 °C – erreicht, könnten ca. 58 Millionen der 2020 geborenen Kinder davor bewahrt werden, im Laufe ihres Lebens einer beispiellosen Belastung durch Klimaextreme wie Hitze, Dürre, Überschwemmungen oder Waldbränden ausgesetzt zu sein.
Obwohl sie besonders stark und oft lebenslang von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, werden Kinder und Jugendliche in der internationalen Klimapolitik kaum berücksichtigt oder beteiligt. Auch wenn sie in offiziellen Berichten mittlerweile häufiger erwähnt werden, sind sie in vielen klimapolitischen Entscheidungen weiterhin unterrepräsentiert.6 In den zentralen Instrumenten internationaler Klimapolitik wie den nationalen Anpassungsplänen (NAPs) und den nationalen Klimaschutzbeiträgen (NDCs) werden Kinder und ihre besonderen Bedürfnisse bisher oft nicht ausreichend einbezogen. Weniger als die Hälfte der bis 2020 eingereichten NDCs, die NDCs 2.0, enthielten kindbezogene Elemente. Auch die Finanzierung von Maßnahmen, die gezielt Kindern zugutekommen wie z.B. Bildung, klimaresiliente Gesundheitsversorgung, Wasser, Ernährung, sozialer Schutz ist sehr gering. Von 2006 bis 2023 flossen nur etwa 2,4 % der großen multilateralen Klimafonds in Projekte, die auf die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet waren.
Mit Verabschiedung der Allgemeinen Bemerkung 9 Nr. 26, auch GC26, hat der UN-Kinderrechtsausschuss das Kinderrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt anerkannt und dabei die Verpflichtungen der Staaten bekräftigt, Kinderrechte im Kontext der Umwelt- und Klimakrise umfassend zu schützen. Diese rechtliche Klarheit spiegelt sich jedoch bislang nicht in den Rahmenwerken und Prozessen wider, die die Klimapolitik gestalten. Es braucht daher entschlossenes und ambitioniertes Handeln, das die tatsächliche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen fördert und die Lebensrealitäten betroffener Kinder widerspiegelt.
Angesichts historisch gewachsener Verantwortung und aktueller Herausforderungen kommt der Bundesregierung – als eine der wichtigsten Industrienationen und als bedeutender Geberstaat – eine besondere Rolle zu: Sie muss die Rechte und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in der nationalen und internationalen Klimapolitik konsequent berücksichtigen.
Auch vor dem Hintergrund der wegweisenden Feststellung des Internationalen Gerichtshofs, dass staatliche Untätigkeit im Klimaschutz menschenrechtliche Verpflichtungen verletzen kann, rufen die unterzeichnenden Organisationen die Bundesregierung dazu auf, gemeinsam mit internationalen Partnern dafür einzutreten, dass der Schutz der Kinderrechte – darunter das Recht auf Gesundheit, Bildung, Schutz, Teilhabe und eine lebenswerte Zukunft – zur Grundlage aller Entscheidungen bei der Weltklimakonferenz (COP30) in Belém wird. Um die Rechte heutiger und zukünftiger Generationen wirksam zu sichern, sind entschlossene Maßnahmen gegen den Klimawandel unerlässlich.
Zentrale Forderungen an die Bundesregierung
1. Nationale Klimaschutzbeiträge (NDCs), Anpassungsstrategien (NAPs) und Monitoringsysteme an den Interessen von Kindern und Jugendlichen ausrichten.
Die Bundesregierung sollte sich aktiv dafür einsetzen, dass NDCs, NAPs und daran geknüpfte Monitoringsysteme systematisch an den Rechten von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet werden. Die NDCs sind ein zentraler Maßstab und müssen kindgerecht, rechtsbasiert und partizipativ ausgestaltet sein. Nur wenn die national festgelegten Beiträge, Anpassungsstrategien und Monitoringsysteme den Schutz und die Förderung aller relevanten Kinderrechte gewährleisten, können sie ihrer Funktion als zentrale Umsetzungsinstrumente des Pariser Abkommens gerecht werden.
Dies gilt insbesondere im Kontext des Globalen Anpassungsziels (Global Goal on Adaptation, GGA): Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass das GGA kindgerecht operationalisiert wird. Dazu gehören die Integration kinderbezogener Indikatoren in den Bereichen Gesundheit, Ernährung, Wasser und Sanitärversorgung, soziale Sicherung, Infrastruktur und Bildung sowie die konsequente Berücksichtigung von Kindern als besonders gefährdete Gruppe. Der bei den Bonner Zwischenverhandlungen SB60 entwickelte Expert Dialogue on Children and Climate Change unterstreicht die Notwendigkeit, die besondere Anfälligkeit von Kindern sowie ihre Stimmen in den Maßnahmen der Klimapolitik stärker zu berücksichtigen. Dieser Ansatz muss verbindlich im Prozess der Globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake) zur Umsetzung des Pariser Abkommens verankert werden, um eine kontinuierliche und systematische Berücksichtigung von Kinderrechten in der globalen Klimapolitik sicherzustellen.
2. Kinder und Jugendliche kinderrechtsbasiert an Entscheidungsprozessen der Klimapolitik beteiligen.
Kinder und Jugendliche dürfen nicht nur als besonders schutzbedürftige Gruppe betrachtet werden, sondern müssen als aktive Mitgestalter*innen der Klimapolitik ernstgenommen, anerkannt und systematisch einbezogen werden. Klimaziele, Maßnahmen und Indikatoren sind gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen – vor allem aus besonders betroffenen und benachteiligten Gruppen – transparent, altersgerecht, inklusiv und sicher zu entwickeln. Wir appellieren an die Bundesregierung, sich bei der COP30 dafür einzusetzen, dass das in der UN-Kinderrechtskonvention in Artikel 12 verankerte Recht auf Beteiligung an allen sie betreffenden Entscheidungen in Beschlüssen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene verankert wird.
Zudem fordern wir, Kinder und Jugendliche in Deutschland mithilfe eines kinderrechtsbasierten Beteiligungsprozesses an allen Beschlüssen zu den deutschen Beiträgen (NDCs) und Anpassungsplänen (NAPs) zu beteiligen. Dieser sollte ein zugängliches und transparentes Beschwerde‑ und Feedbackverfahren für junge Menschen beinhalten.
3. Klimafinanzierung an den Bedarfen von Kindern und Jugendlichen ausrichten.
Die Bundesregierung muss ihren Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung verlässlich beisteuern, aktuell die zugesagten sechs Milliarden Euro, und auch langfristig ihren für Deutschland angemessenen und notwendigen Beitrag zusichern. Dabei fordern wir, dass die internationale Klimafinanzierung konsequent an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet wird und ein verbindlicher und adäquater Anteil der internationalen Klimafinanzierung ausdrücklich für Maßnahmen reserviert wird, die Kindern und Jugendlichen gezielt zugutekommen. Denn Kinder sind in besonderer Weise betroffen und müssen auch finanziell entsprechend berücksichtigt werden. Zentral sind dabei Investitionen in soziale Sicherungssysteme und Klimaanpassungsmaßnahmen. Soziale Sicherung ist ein wichtiger Hebel, damit Familien die Folgen des Klimawandels bewältigen können. Sie stärkt Gesellschaften, schafft langfristige Stabilität und reduziert das Risiko von Vertreibung. Gleichzeitig leisten Anpassungsmaßnahmen durch soziale Sicherung einen entscheidenden Beitrag zur Katastrophenvorsorge.
Darüber hinaus appellieren wir an die Bundesregierung, Kinder und Jugendliche bei den Verhandlungen um das New Collective Quantified Goal (NCQG) mitzudenken. Die durch das NCQG resultierende Klimafinanzierung soll – auf Basis des Child Climate Risk Index von UNICEF – weltweit Projekte ermöglichen, die die Resilienz, Gesundheit, Bildung und den Schutz von Kindern und Jugendlichen gegenüber der Klimakrise stärken. Dazu zählen sowohl präventive Maßnahmen als auch akute Unterstützung in Krisensituationen nach Extremwetterereignissen. Darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass alle Staaten zur Erfüllung ihrer NDCs verbindliche Mittelzusagen für kindgerechte Anpassungs- und Schutzmaßnahmen leisten und jährlich über deren Umsetzung berichten.
4. Verluste und Schäden für Kinder und Jugendliche kompensieren.
Wir fordern, dass bei der Umsetzung des Fund for Responding to Loss and Damage (FRLD) kindbezogene Leistungen vorrangig berücksichtigt und ausgezahlt werden, unter anderem für psychosoziale Hilfe, medizinische Versorgung und den Zugang zu Bildung. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass bei der Umsetzung des Warsaw International Mechanism for Loss and Damage und des Santiago-Netzwerks der Schutz der Kinderrechte konsequent verankert wird. Konkret sollte Deutschland fordern und fördern, dass technische und finanzielle Unterstützungsmaßnahmen in besonders vulnerablen Gebieten die speziellen Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen, sowie kindgerechte Katastrophenvorsorge und psychosoziale Unterstützung gewährleisten.
Zudem empfehlen wir der Bundesregierung, sich für die Einführung eines eigenständigen Loss & Damage Gap Reports mit speziellem Fokus auf Kinder und Jugendliche einzusetzen, um bestehende Schutzlücken sichtbar und die Wirksamkeit von Maßnahmen messbar zu machen. Der Report dokumentiert regelmäßig, wie viele Kinder infolge der Klimakrise Bildungsausfälle, Gesundheitsbeeinträchtigungen, Unterernährung, Kinderarbeit oder Obdachlosigkeit erfahren.
5. Kinderrechte im Kontext klimabedingter Migration konsequent berücksichtigen.
Klimabedingte Migration, Vertreibung und Umsiedlung haben tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben und die Rechte von Kindern. Sie betreffen grundlegende Schutz-, Versorgungs- und Beteiligungsrechte – vom Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung bis hin zum Recht auf Schutz vor Ausbeutung und Gewalt. Die Folgen müssen als kinderrechtliche Herausforderungen international anerkannt, sichtbar gemacht und mit gezielten Maßnahmen adressiert werden.
Die Bundesregierung soll sich auf der COP30 dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche als besonders schutzbedürftige Gruppe in allen relevanten UNFCCC-Prozessen zu klimabedingter Migration, Vertreibung und Umsiedlung systematisch und rechtsverbindlich berücksichtigt werden. Ihre Rechte und Schutzbedarfe müssen im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention verbindlich in der Task Force on Displacement, im Loss and Damage Mechanismus sowie beim Global Goal on Adaptation verankert werden. Um bestehende Schutzlücken sichtbar und die Wirksamkeit von Maßnahmen messbar zu machen, sollen zudem Mechanismen zur Datenerhebung, Überwachung und Berichterstattung geschaffen werden, die kindgerechte Perspektiven und Indikatoren systematisch einbeziehen. Es braucht zudem Investitionen in Forschung und Daten, um die unverhältnismäßigen Auswirkungen des Klimawandels auf Kinder sichtbar zu machen und politische Maßnahmen gezielt an ihren Bedürfnissen auszurichten.
Die Klimakrise ist eine Krise der Kinderrechte. Kinder und Jugendliche gehören zu den Hauptleidtragenden des Klimawandels, dennoch sind sie in der Klimapolitik weiterhin unterrepräsentiert. Um ihren Schutz, ihre Teilhabe und ihre Zukunft zu sichern, braucht es jetzt entschlossenes politisches Handeln. Die Bundesregierung muss ihrer Verantwortung gerecht werden und sich auf der COP30 dafür einsetzen, dass die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen systematisch und verbindlich in alle klimapolitischen Maßnahmen, Finanzierungsmechanismen und Entscheidungsprozesse integriert werden – national wie international. Nur so lässt sich eine gerechte, nachhaltige und kinderfreundliche Klimapolitik verwirklichen.
Das Forderungspapier mit allen unterzeichnenden Organisationen finden Sie hier als PDF.


