Offener Brief: Der Umsetzung der Europäischen Garantie für Kinder in Deutschland eine hohe Priorität geben
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir freuen uns, dass Sie sich in den Verhandlungen zur Bildung einer Koalition des Themas Familien, Kinder und (Kinder-)Armut annehmen.
Die Bekämpfung von Kinderarmut ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe dieser Zeit. Wir hoffen, dass auch Sie die Tatsache, dass seit Jahrzehnten rund ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in unserem Land von Armut, sozialer Ausgrenzung und ihren benachteiligenden Folgen betroffen sind, für nicht hinnehmbar halten. Kinder- und Jugendarmut ist kein vorübergehendes Problem, sondern verschlechtert dauerhaft die Chancen der Betroffenen, im Laufe ihres Lebens der Armut zu entkommen. Dies stellt das Teilhabeversprechen für alle Bürger/innen in einer Demokratie in Frage. Auch die UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet dazu, allen Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen (Art. 26 und 27 UN-KRK). Es besteht daher die dringende Notwendigkeit, der Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut den notwendigen Stellenwert einzuräumen und das bestehende System der Armutsbekämpfung zu reformieren.
Die Europäische Garantie für Kinder ist eine wertvolle Initiative, um von Armut und Teilhaberisiken betroffene und bedrohte Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Ziel ist es, „soziale Ausgrenzung zu verhindern und zu bekämpfen, indem der Zugang bedürftiger Kinder zu einer Reihe wichtiger Dienste garantiert wird, und dadurch auch einen Beitrag zum Schutz der Kinderrechte durch die Bekämpfung von Kinderarmut und die Förderung von Chancengleichheit zu leisten.“
Das zuständige Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) hat für die Umsetzung des entsprechenden nationalen Aktionsplans (NAP) unter anderem einen Ausschuss eingesetzt, an dem sich die hier unterzeichnenden Akteure aus der Zivilgesellschaft beteiligen. Wir begrüßen dieses Vorgehen grundsätzlich und betonen gleichzeitig, dass Anstrengungen nur dann Erfolg haben werden, wenn sie in eine Veränderung struktureller Faktoren zum Abbau von Armut eingebettet sind. Zu diesen gehören monetäre Leistungen, eine niedrigschwellig gut erreichbare soziale und Bildungs-Infrastruktur und die Gestaltung des Arbeitsmarktes.
Wir wünschen uns von der zukünftigen Regierung, dass sie den gerade erst veröffentlichten ersten Fortschrittsbericht zum Anlass nimmt, auch weiterhin an der Umsetzung des NAP zu arbeiten und gleichzeitig die vielfach kritisierten Schwächen des NAP, etwa den Mangel an Ambition oder Innovation, zu korrigieren.
Wir appellieren an Sie,
- eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland vorzulegen, nach der sich politisches Handeln im Sinne der Kinder und Jugendlichen ausrichtet und entsprechende Haushaltsmittel für die Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen dieser Strategie bereitzustellen;
- konkrete Ziele im Zuge der Fortschreibung des NAP zu formulieren;
- den Umsetzungsprozess mit den notwendigen Kompetenzen und entsprechender Ausstattung zu hinterlegen:
- Der/die Nationale Koordinator/in sollte auch zukünftig mindestens auf Staatssekretärsebene verortet sein.
- In einem dauerhaften Regierungsgremium sowie im Austausch mit Kindern und Jugendlichen sollten die zuständigen Minister/innen regelmäßig über Armutsprävention beraten und Vorschläge für das Gesamtkabinett erarbeiten.
Eine Einschätzung des bisherigen Verlaufs der Umsetzung sowie weitere Vorschläge zu seiner Verbesserung finden Sie in der gemeinsamen Stellungnahme der an dem Prozess beteiligten zivilgesellschaftlichen Akteure unter https://ag-familie.de/files/StN_Zivilgesellschaft_NAP-Fortschrittsbericht_Nov2024_final.pdf.
Unter anderem wird dort die Bedeutung einer hochwertigen Kinder- und Jugendbeteiligung, in der die betroffenen Zielgruppen angemessen vertreten sind, betont sowie der Daten und Informationen entlang der Indikatoren der Kindergarantie.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung und wünschen Ihnen im Sinne der Kinder und ihrer Familien gutes Gelingen bei Ihrer Arbeit. Mit freundlichen Grüßen
- Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF)
- Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
- Bertelsmann Stiftung
- Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (BEVKi)
- Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern (bbe)
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
- Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V. (DGSPJ)
- Deutsche Liga für das Kind
- Deutscher Kinderschutzbund (DKSB)
- Deutsches Kinderhilfswerk (DKHW)
- Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit
- National Coalition Deutschland
- Save the Children Deutschland e.V.
- UNICEF Deutschland
- Claudia Kittel, Deutsches Institut für Menschenrechte, Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention (als Einzelperson in den NAP-Ausschuss berufen)
Die Verfasser:innen sind Mitglieder im „NAP-Ausschuss“ zur Umsetzung der Garantie für Kinder in Deutschland.