Flucht und AusbeutungÜber unsUN-Kinderrechtskonvention

Kinderrechtlicher Appell zu den Trilog-Verhandlungen am 7. Dezember 2023

Es ist nicht zu spät – Kinderrechte sind unverhandelbar!

Seit Vorstellung des EU-Migrations- und Asylpakets weisen die unterzeichnenden Organisationen darauf hin, dass die bisherigen Reform-Entwürfe die Rechte geflüchteter Kinder nicht ausreichend berücksichtigen. Etwa ein Drittel der Asylantragstellenden in der EU ist minderjährig. Auch in den Verhandlungen im Juni und September dieses Jahres gelang es den EU-Mitgliedsstaaten nicht, Menschen- und insbesondere Kinderrechte bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sicherzustellen. Im Gegenteil, es wurde Weichen dafür gestellt, diese zu umgehen. Sollte eine Einigung auf die aktuellen Reform-Vorschläge erfolgen, sind Kinder und ihre Familien großen Gefahren von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. 

Noch ist es nicht zu spät! Die Reform ist noch nicht abgeschlossen – die Verhandlungen zwischen dem Rat der europäischen Innenminister*innen, dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems laufen weiterhin. Daher appellieren wir noch einmal eindringlich, von den bisherigen Weichenstellungen abzukehren und die Wahrung von Menschenrechten und allen voran das Kindeswohl wieder zu den Leitlinien europäischer Politik zu machen. 

Die EU-Mitgliedsstaaten haben allesamt die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert und sich dazu bekannt, Kinderrechte für alle Kinder in der Europäischen Union umzusetzen. Damit sind Mitgliedsstaaten wie Deutschland zudem an das Rückschritts-Verbot gebunden.2 Das bedeutet, dass bisherige Errungenschaften nicht unterschritten werden dürfen. Die aktuell diskutierten Entwürfe würden jedoch gravierende Rückschritte für den Schutz von Kindern bedeuten. So ist es unter anderem voraussehbar, dass viele Kinder, die in der EU ankommen, mitunter mehrere Monate unter nicht kindgerechten Bedingungen leben müssten. Auch das kinderrechtliche Verbot von Haft oder haftähnlicher Unterbringung würde verletzt. 

Maßgebliche, durch Unions- und Völkerrecht gedeckte Verfahrensgarantien fielen zudem weg, bspw. bei der Alterseinschätzung oder der Bestellung eines Vormunds. Ohne angemessene Möglichkeiten, rechtlich gegen fehlerhafte Entscheidungen vorzugehen, können die Rechte von Kindern zudem nicht geschützt und ihr Wohl nicht gewährleistet werden. Die unterzeichnenden Organisationen befürchten weiterhin, dass die bisherigen Reformvorschläge die Situation an den europäischen Außengrenzen, die von Gewalt und Erniedrigung oder illegalen Pushbacks – auch gegenüber Kindern – geprägt ist, zementieren. 

Wir fordern daher anlässlich des Trilog-Treffens am 7. Dezember die Bundesregierung und deutsche Europapolitiker*innen dazu auf, bis zum letzten Verhandlungsmoment für die Rechte von geflüchteten Kindern einzustehen. Denn geflüchtete Kinder sind in erster Linie Kinder und haben ein Recht auf eine Kindheit, die diesen Namen auch verdient. 

Die unterzeichnenden Organisationen fordern vor allem: 

1. Kinder und ihre Familien müssen ausnahmslos von Grenzverfahren unter Haft ausgenommen werden. Auch eine Unterbringung unter Bedingungen, die Haft – auch ohne Haftantrag – gleichkommt, darf keine Option sein. Das gilt für alle Kinder bis zur Volljährigkeit – das Ziehen arbiträrer Altersgrenzen verletzt die Kinderrechtskonvention. 

2. Von der geplanten Ausweitung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“ muss abgesehen werden. Das Konzept des sog. „sicheren Drittstaats“, wonach Asylanträge ohne inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe als unzulässig abgelehnt und auch Kinder und Jugendliche in außereuropäische Drittstaaten zurückverwiesen werden können, birgt die Gefahr von Verstößen gegen das Refoulement-Verbot, insbesondere wenn im Drittstaat kein Schutz gemäß der Genfer Konvention gelten muss. Kinder dürfen nicht in Situationen gebracht werden, in der sie nicht sicher und geschützt sind. Dies gilt insbesondere, wenn sie keine Verbindung in diese Länder haben – eine starke Verbindung, die über den reinen Transit hinausgeht, muss zwingend erhalten bleiben. 

3. Kinderrechtliche Verfahrensgarantien müssen erhalten bleiben. Kinder haben besondere Rechte und Bedarfe, die es zu beachten gilt. Um ihre Rechte wahrnehmen zu können, brauchen sie entsprechende Unterstützung. Ihnen muss effektiver Rechtsschutz in Screening-Verfahren, bei der Alterseinschätzung und in Zuständigkeits- sowie Grenzverfahren zu jedem Zeitpunkt ab der Ankunft gewährt werden. Bei unbegleiteten Minderjährigen muss zudem die Vormundschaft ab Tag eins sichergestellt sein. 

Die aktuellen Reformvorschläge verschärfen im Wesentlichen die bereits existierenden Probleme des europäischen Asylsystems und weisen gravierende Lücken für die Umsetzung von Kinderrechten auf. Die Nichtanwendung von Regelungen und Verfahrensgarantien auf europäischer Ebene führt bereits seit Jahren dazu, dass vulnerable Gruppen, wie Kinder, nicht geschützt sind und ihre Rechte massiv beschnitten werden. Doch dies bleibt ohne Konsequenzen für die Mitgliedstaaten. Es ist abzusehen, dass die Reform daran nichts ändert, die Regelungen sind zu komplex für die Umsetzung. 

Den gesamten Appell mit allen unterzeichnenden Organisationen finden Sie hier.