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Neuer Sprecher im Netzwerk Kinderrechte: Sven Stumpf im Interview

Das Netzwerk Kinderrechte hat einen neuen Sprecher: Sven Stumpf wurde in den geschäftsführenden Vorstand gewählt und bildet nun gemeinsam mit Bianka Pergande, die als Sprecherin wiedergewählt wurde, das Sprecher:innen-Duo des Netzwerks.

Um Sven Stumpf in seinem neuen Amt als Sprecher näher kennenzulernen, haben wir mit ihm ein kurzes Interview geführt, über seine Ziele, seine Motivation und die Herausforderungen, vor denen die Kinderrechte aktuell stehen.

Welche Ziele hast du dir als neuer Sprecher des Netzwerks Kinderrechte gesetzt?

Die NC lebt von der Vielfalt und dem Engagement ihrer Mitglieder, die die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen in den politischen Raum tragen – nicht nur im Staatenberichtsverfahren, sondern auch in der wichtigen Follow-up-Phase, wenn es um die Umsetzung der Empfehlungen geht. Als Sprecher bin ich Teil eines engagierten Vorstands. Gemeinsam werden wir in den kommenden Wochen unsere Ziele für die NC konkretisieren – und dann mit der Umsetzung beginnen.

Mein persönliches Ziel ist es, dazu beizutragen, dass Kinderrechte stärker als das verstanden werden, was sie sind: rechtsverbindliche Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Kinderrechte sind keine moralischen Appelle, sondern verbindliche Verpflichtungen. Sie sind Ausdruck des Rechtsstaats und Maßstab für seine Qualität.

Ich möchte mithelfen, dass Kinderrechte im politischen Raum und im juristischen Diskurs präsenter werden. Nur wenn sie einklagbar und durchsetzbar sind, werden sie ernst genommen – auch auf kommunaler Ebene, in der Jugendhilfe, in der Bildungspolitik und in der Familienrechtsprechung.

Wie möchtest du sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche in eure Entscheidungen und Projekte einbezogen werden?

Kinder und Jugendliche müssen nicht nur gehört, sondern als handelnde Subjekte anerkannt werden. Partizipation darf kein symbolischer Akt bleiben. In der NC wollen wir Strukturen fördern, die Kinder tatsächlich in Entscheidungsprozesse einbeziehen – etwa in Arbeitsgruppen, bei Stellungnahmen oder in der Programmentwicklung.

Kinder sollen sich als Rechtsträger*innen erleben. Wenn Kinder in politischen oder juristischen Verfahren als Expert*innen in eigener Sache auftreten, verändert das die Wahrnehmung ihrer Rolle – und letztlich die gesellschaftliche Sicht auf Kinderrechte.
Das ist ein kultureller Lernprozess: Rechte werden wirksam, wenn diejenigen, um die es geht, sie selbst nutzen können.

Angesichts von Klimakrise, Digitalisierung und politischem Rechtsruck – welche Herausforderungen siehst du für die Umsetzung der Kinderrechte?

Ich sehe mehrere Herausforderungen.

Erstens werden Menschenrechte – also Grundrechte und auch Kinderrechte – häufig als moralischer Zeigefinger oder gar als Hemmnis für Mehrheitsentscheidungen dargestellt. Dabei wird übersehen, dass sie nicht Grenzen setzen, um zu hemmen, sondern um zu schützen. Sie sichern Freiheit, Fortschritt und Würde – auch gegenüber der Mehrheit.

Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion um Totalsanktionen in der Grundsicherung. Wenn gefordert wird, das Grundgesetz zu ändern, um solche Sanktionen zu ermöglichen, weil eine Mehrheit das befürwortet, verkennt das, dass das Verbot solcher Maßnahmen aus der Menschenwürde folgt. Artikel 1 des Grundgesetzes ist nicht änderbar – und das ist gut so.

Doch die Erzählung sollte nicht lauten: „Das ist rechtlich nicht möglich“, sondern: „Gut, dass die Menschenwürde uns davor schützt, Menschen in Arbeit zu zwingen.“ Mit Zwangsarbeit haben wir als Gesellschaft schlechte Erfahrungen gemacht – genau daraus ist der Schutz der Würde entstanden.

Zweitens: Kinderrechte müssen als echte Rechte sichtbar und wirksam werden.
Rechte entfalten ihre Wirkung erst, wenn sie juristisch durchsetzbar sind und gesellschaftlich verankert werden. Das bedeutet, sie müssen im Verwaltungshandeln, in gerichtlichen Verfahren und in der juristischen Ausbildung verankert sein. Nur dann werden sie zu einem lebendigen Teil unseres Rechtsstaates.

Wie willst du als Sprecher politische Anliegen der Kinderrechte voranbringen und das Netzwerk sichtbar machen?

Politische Wirkung entsteht, wenn juristische Klarheit und gesellschaftliche Erzählung zusammenkommen. Kinderrechte müssen in der Rechtsprechung gestärkt und zugleich in der öffentlichen Wahrnehmung positiv vermittelt werden. Beides gehört zusammen: die normative Präzision und die kulturelle Verständigung darüber, warum Kinderrechte Fortschritt bedeuten.

Es gibt viele Beispiele – aus Kitas, Jugendverbänden oder der Jugendhilfe –, die zeigen, wie Kinderrechte gelebte Praxis sind und welche positiven Effekte das hat: Beteiligung stärkt Verantwortung, Mitsprache fördert Gemeinsinn. Diese Erfahrungen machen deutlich, dass Kinderrechte nicht nur Kinder schützen, sondern Gesellschaften stabilisieren.

Gleichzeitig brauchen wir mehr juristische Wirksamkeit: in der Fachliteratur, in der Verwaltungspraxis und in der gerichtlichen Entscheidungskultur. Die National Coalition kann hier Brücken bauen – zwischen Fachlichkeit und Öffentlichkeit, zwischen Theorie und gelebtem Recht. Dazu werde ich meinen Teil beitragen, denn unsere Aufgabe im Vorstand ist es, die Expertise der Mitgliedsorganisationen zu bündeln und sichtbar zu machen.

Was motiviert dich persönlich in dieser Arbeit?

Mich treibt die Überzeugung an, dass sich eine Gesellschaft daran messen lassen muss, wie ernst sie das Recht der Schwächsten nimmt. Kinderrechte sind dafür ein Gradmesser. Sie zeigen, ob wir bereit sind, Macht zu begrenzen, um Gerechtigkeit, Freiheit und Verantwortung zu ermöglichen. Für mich ist das keine moralische Frage, sondern eine Frage des demokratischen Selbstverständnisses – und zugleich die Grundlage für sozialen Zusammenhalt.

Ich weiß, dass diese Arbeit nicht allein gelingt. Sie gelingt nur gemeinsam – mit Kolleg*innen im Vorstand, mit den Mitgliedsorganisationen und mit all den Menschen, die sich tagtäglich für Kinder einsetzen. Denn Kinderrechte sind kein Ziel, das man einmal erreicht, sondern ein Prozess, in dem wir immer wieder neu prüfen, ob wir ihnen gerecht werden.