Stellungnahme der National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention zur Bundestagswahl 2025
Die UN-Kinderrechtskonvention als politischer Auftrag: Kinder stärken, Rechte sichern!
Einleitung: Kinderrechte sichern – Politik mit Zukunft vielfältig und partizipativ gestalten!
Die Krisen der letzten Jahre haben die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland stark geprägt. Besonders betroffen sind junge Menschen, deren Bildungschancen eingeschränkt wurden, deren soziale Teilhabe begrenzt ist und deren psychische Gesundheit stark unter den Folgen dieser Krisen leidet.
Fast jedes dritte Kind in Deutschland zeigt mittlerweile psychische Auffälligkeiten. Soziale Isolation, Einsamkeit und erhöhter Stress belasten viele Kinder und Jugendliche. Hinzu kommen Zukunftssorgen um die Sicherheit in Europa, die Auswirkungen der Klimakrise und wirtschaftliche Unsicherheiten. Trotz dieser alarmierenden Entwicklungen fehlen nachhaltige Strukturen, die die umfassende Beteiligung junger Menschen an politischen Entscheidungsprozessen sicherstellen und somit ihre Selbstwirksamkeit stärken.
Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren zu einer von Vielfalt geprägten Gesellschaft entwickelt. Diese Vielfalt zu bewahren und zu fördern, erfordert eine starke demokratische Teilhabe – ein wichtiger Schritt, um auch die Rechte von Kindern zu stärken. Die Bundestagswahl 2025 bietet die Chance, ein deutliches Zeichen zu setzen: Deutschland kann sich als Gesellschaft der Vielfalt positionieren, die auf Menschenrechte baut.
Ein zentrales Anliegen ist dabei die uneingeschränkte Gewährleistung der Kinderrechte für alle Kinder, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt sind – unteilbar, universell und unveräußerlich. Bei politischen Entscheidungen, die Kinder betreffen, ist das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen. Dies gilt auch im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts. Eine Abkehr von diesen menschenrechtlichen Prinzipien stellt die Gültigkeit der Menschen- und Kinderrechte grundsätzlich infrage. Das gefährdet die Menschen und unsere Demokratie.
Die Bilanz der vergangenen Legislaturperiode zeigt, dass zentrale kinderrechtspolitische Vorhaben nicht umgesetzt wurden. Es fehlt nach wie vor an Finanzierung und konkreten politischen Initiativen, die das Leben von Kindern und Jugendlichen nachhaltig verbessern. Der demografische Wandel und die Orientierung an kurzen Wahlzyklen verstärken die geringere Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen: Die über 60-Jährigen stellen doppelt so viele Wähler:innen wie die unter 30-Jährigen, was deren Anliegen systematisch in den Hintergrund drängt. Langfristige und nachhaltige Lösungen geraten aus dem Blick, obwohl sie für die jüngere Generation essenziell sind. Dabei lohnen sich die Investitionen in Kinder und Jugendliche langfristig auch aus wirtschaftlicher Perspektive.
In der kommenden Legislaturperiode muss eine Wende eingeleitet werden: Kinderrechte müssen konsequent gestärkt und eine zukunftsfähige, partizipative Politik gestaltet werden, die alle Generationen einbezieht. Diese Stellungnahme der National Coalition Deutschland formuliert zehn zentrale Themenbereiche und konkrete Maßnahmen für die kommende Legislaturperiode, um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland entscheidend voranzubringen.
I Thematische kinderrechtliche Anliegen
- Kinderarmut und angemessene Lebensstandards
In Deutschland ist jedes fünfte Kind von Armut betroffen. In prekären Lebensverhältnissen aufzuwachsen, verletzt die Rechte von Kindern und Jugendlichen. Armut wirkt sich auch auf andere Kinderrechte wie den Zugang zu Bildung aus und kann junge Menschen daran hindern, ihre Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen.
Angesichts der angespannten Haushaltslage braucht es ein klares Bekenntnis zu einer kinderrechtsbasierten Haushaltsplanung. Öffentliche Mittel und Ressourcen für Kinder und Jugendliche sind die sicherste Investition in die Zukunft. Die Bundesregierung ist gemäß der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet, alle geeigneten gesetzgeberischen und administrativen Maßnahmen zu ergreifen, um die Kinderrechte zu verwirklichen und im besten Interesse der Kinder zu handeln. Haushaltskürzungen dürfen nicht zu Verletzungen von Kinderrechten führen.
Die finanzielle Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe ist unzureichend. So werden unter anderem inflationsbedingte Steigerungen bei Personal- und Sachkosten nicht ausgeglichen. In der Folge müssen Einrichtungen, die eigentlich die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken sollen, Angebote einschränken oder streichen.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Einführung einer Kindergrundsicherung: Mit der Einführung einer Kindergrundsicherung sollen bestehende kindbezogene Leistungen gebündelt werden. Ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Kinderarmut muss jedoch über eine reine Verwaltungsreform hinausgehen und betroffenen Kindern zusätzliche Ressourcen bereitstellen.
- Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums: Die Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums soll unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen stattfinden. Ihre realen Bedürfnisse müssen adäquat mit der Kindergrundsicherung gesichert werden.
- Bildung
Alle Kinder haben ein Recht auf Bildung (Art. 28 UN-KRK). Dieses Recht ist darauf ausgerichtet, die Persönlichkeit, die Begabungen sowie die geistigen und körperlichen Fähigkeiten jedes Kindes voll zur Entfaltung zu bringen (Art. 29 UN-KRK). Die Bundesregierung ist verpflichtet, den Ausbau von Institutionen, Einrichtungen und sozialen Diensten für die Betreuung von Kindern sicherzustellen (Art. 18 Abs. 2 UN-KRK).
Nach dem massiven quantitativen Ausbau der letzten 20 Jahre und mit Blick auf den bevorstehenden Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung für alle Grundschulkinder muss nun der Fokus auf der Qualitätsentwicklung und -sicherung der Kindertagesbetreuung liegen.
Die Kindertagesbetreuung ist immer noch nicht inklusiv. Zugangshürden bestehen insbesondere für benachteiligte Familien, und die Qualität vieler Einrichtungen bleibt mittelmäßig. Kinder erleben täglich verletzendes und grenzüberschreitendes Verhalten sowie Einschränkungen ihrer Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Entwicklungsrechte. Dies liegt auch daran, dass Tausende Fachkräfte und Kitaplätze fehlen – eine Herausforderung, die weiter zunimmt.
Damit alle Kinder gleichermaßen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung erhalten, müssen Bildungsangebote so gestaltet sein, dass sie allen Kindern inklusives Lernen auf unterschiedlichen Niveaus und mit verschiedenen Zugangsmöglichkeiten ermöglichen. Bildungskarrieren dürfen weder durch Diskriminierung und Ausgrenzung noch durch fehlende passgenaue Förderung gefährdet werden.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Betreuungsplätze mit angemessenem Betreuungsschlüssel: Für jedes Kind muss ein kostenfreier Betreuungsplatz mit einem angemessenen Betreuungsschlüssel bereitgestellt werden. Dabei soll die Qualität der frühkindlichen Bildung kinderrechtsbasiert, gewaltfrei und vorrangig am Wohl des Kindes ausgerichtet sein.
- Bewältigung des Fachkräftemangels: Eine Aus-, Fort- und Weiterbildungsoffensive ist notwendig, um den Fachkräftemangel zu beheben. Es muss sichergestellt werden, dass kein pädagogisch unqualifiziertes Personal in Bildungseinrichtungen tätig ist. Anstellungsverhältnisse müssen attraktiv gestaltet werden.
- Inklusives Lernen für alle Kinder: Bildungsangebote für eine allseitige Bildung sind sicherzustellen. Alle Kinder sollen durch differenzierte Lernangebote auf verschiedenen Niveaus und mit verschiedenen Zugangsmöglichkeiten gemeinsam und inklusiv lernen können.
- Kinderrechtebildung, Partizipation und Beschwerdemöglichkeiten: Kinderrechtebildung sowie leicht zugängliche Partizipations- und Beschwerdemöglichkeiten müssen allen Kindern und Jugendlichen in Bildungseinrichtungen zur Verfügung stehen.
- Verankerung der Menschen- und Kinderrechtebildung in den Schulgesetzen: Die Bundesregierung soll darauf hinwirken, dass Menschen- und Kinderrechtebildung als Bildungsziel in die Schulgesetze aller Bundesländer aufgenommen wird.
- Gewalt gegen Kinder und Kinderschutz im digitalen Raum
Weltweit sind viele Kinder und Jugendliche von körperlicher und psychischer Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung betroffen. Armut, die durch die Pandemie, Kriege, Fluchtbewegungen, die Klimakrise und Inflation weiter verschärft wurde, macht sie noch verletzlicher.
Die UN-KRK und ihre Zusatzprotokolle betonen das Recht auf Schutz vor Gewalt, da Gewalterfahrungen die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigen können – sowohl körperlich als auch psychisch. Zudem zeigen Studien transgenerationale Auswirkungen, etwa ein erhöhtes Risiko für innerfamiliäre Gewalt im Erwachsenenalter.
Die Einrichtung des Nationalen Rates und die Stärkung des Amtes der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs waren wichtige Schritte. Sie entsprechen jedoch noch nicht der vom UN-Kinderrechtsausschuss geforderten nationalen Strategie zur Verhütung, Bekämpfung und Überwachung aller Formen von Gewalt gegen Kinder und unter Kindern.
Junge Menschen wachsen in einer digitalisierten Welt auf, in der sie immer häufiger unangenehme Erfahrungen machen und Phänomenen digitaler Gewalt ausgesetzt sind. Wenngleich nicht jede Kontaktaufnahme im Internet ein Risiko darstellt, sind Cybergrooming und sexualisierte Gewalt reale Gefahren. Besonders in sozialen Medien und Online-Spielen besteht ein hoher Schutzbedarf gegen aggressive Interaktionen, unerwünschte Kontakte und negative Erfahrungen.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Stärkung des Kinderschutzsystems: Das Kinder- und Jugendhilfesystem muss zu einem krisenresilienten Kinderschutzsystem ausgebaut werden, das Kindern, Eltern und Fachkräften einen niedrigschwelligen Zugang zu Beratung und Beschwerde ermöglicht.
- Investitionen in Kinderschutzkompetenz und multiprofessionelle Zusammenarbeit: Die Kinderschutzkompetenz von Fachkräften in Strafverfolgung, sozialer Arbeit und Justiz muss durch gezielte Investitionen in Ausbildung und Weiterbildung gestärkt werden. Dies schließt die flächendeckende Umsetzung kindgerechter Verfahren im Familien-, Straf- und sozialen Entschädigungsrecht sowie die umfassende Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Organisationen ein.
- Stärkung des Opferschutzes in Strafverfahren: In Bezug auf kindliche Opferzeug:innen in Strafverfahren sollte die Möglichkeit der Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung von Amts wegen (ohne Antrag der Betroffenen) eingeführt werden. Außerdem sollten in Strafverfahren Videovernehmungen regulär ersetzend genutzt werden, um Mehrfachbelastungen durch erneute Vernehmungen in der Hauptverhandlung zu vermeiden. Neben einer stärkeren gesetzlichen Grundlage braucht es auch die erforderlichen Ressourcen (kindgerechte Räume, geschultes Personal und Technik).
- Ausbau der Fachberatung und psychotherapeutischen Versorgung: Die Fachberatung sowie die psychotherapeutische Versorgung gewaltbetroffener Kinder und Jugendlicher muss gestärkt werden. Ein besonderer Fokus sollte auf dem Ausbau von Traumaambulanzen liegen.
- Regulierung und Prävention digitaler Gewalt: Der Bund soll geeignete Regulierungen einführen bzw. unterstützen, die digitale (sexualisierte) Gewalt verhindern. Kindgerechte Meldeverfahren, Hilfs- und Beratungsangebote sind auszubauen, um Betroffene zu begleiten und zu unterstützen. Zudem sollen Schäden angemessen sanktioniert und die internationale Zusammenarbeit gestärkt werden.
- Verantwortung der Medienanbieter stärken: Medienanbieter müssen stärker in die Pflicht genommen werden, sichere Online-Angebote für Kinder bereitzustellen und die Verantwortung für Schutzmaßnahmen konsequenter wahrzunehmen.
- Mentale Gesundheit
Die deutliche Zunahme psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist alarmierend. Bei jungen Kindern stehen Entwicklungsstörungen im Vordergrund, im Schulalter vermehrt ADHS, Störungen des Sozialverhaltens, Zwänge, depressive Symptomatik und Ängste. Im Jugendalter treten auch Essstörungen, Suchtverhalten und Suizidalität auf. Obwohl es inzwischen mehr Therapieplätze in Praxen, Ambulanzen und Tageskliniken gibt, ist der Bedarf an psychotherapeutischer Hilfe bei Weitem noch nicht gedeckt.
Das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen wird sowohl im analogen als auch im digitalen Raum geprägt, wobei eine Unterscheidung zwischen diesen Räumen oft kaum möglich ist.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Investitionen in Gesundheitsprävention und mentale Gesundheit: Die Bundesregierung soll in die Gesundheitsprävention investieren und dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen legen. Zudem sind Informations- und Aufklärungsangebote für Kinder und Eltern sowie Weiterbildungsprogramme für pädagogische Fachkräfte zu entwickeln und umzusetzen.
- Ausbau mobiler und aufsuchender Therapieangebote: Die Bundesregierung soll den Ausbau mobiler und aufsuchender Therapieangebote für Kinder und Jugendliche fördern. Besonderes Augenmerk gilt dem Zugang zu Gesundheitsversorgung und therapeutischen Angeboten für junge Geflüchtete.
- Förderung gemeindenaher, niedrigschwelliger Unterstützungsangebote: Die Bundesregierung soll gemeindenahe, niedrigschwellige Unterstützungsangebote wie Beratung und Prävention entsprechend den realen Bedarfen fördern. Die kontinuierliche Evaluation dieser Angebote ist sicherzustellen.
- Besondere Schutzmaßnahmen: Geflüchtete Kinder
Im Zeitraum von Januar bis Juni 2023 waren 31,6 % aller Asylantragstellenden jünger als 18 Jahre. Minderjährige geflüchtete Kinder und Jugendliche sind besonders vulnerabel. Belastende Erfahrungen vor, während und nach der Flucht prägen ihre Lebensrealität in Deutschland. Viele dieser jungen Menschen sehen sich mit einer ungewissen Zukunft und einem komplexen Asylverfahren konfrontiert.
Die UN-KRK sowie das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) berücksichtigen dies und sehen spezifische Maßnahmen für ihre bedarfsgerechte Betreuung und Unterstützung vor. Doch bei der Umsetzung dieser staatlichen Verpflichtungen gibt es eklatante Defizite auf allen staatlichen Ebenen. So sehen die Regelungen zur bis zu 18-monatigen Abschiebungshaft (§ 62 AufenthG) und zum Ausreisegewahrsam (§ 62b AufenthG) keinen gesetzlichen Ausschluss von Minderjährigen vor. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Abschiebungen von Familien, wobei es auch zu Familientrennungen kam. Zudem wird die Wiederherstellung der Familieneinheit für Familien in Deutschland aktuell nicht konsequent gewährleistet.
Kinder und Jugendliche, die allein fliehen müssen – etwa, weil sie in ihrem Herkunftsland kindspezifische Verfolgung wie Zwangsheirat oder die Rekrutierung als Kindersoldat:innen erfahren oder während der Flucht von ihrer Familie getrennt werden – können nach der Schutzzuerkennung häufig nicht ohne Weiteres ihre Kernfamilie nach Deutschland nachholen. Besonders problematisch ist auch, dass minderjährige Geschwister kein Nachzugsrecht haben.
Auch Vorschläge, die ein pauschales Einreiseverbot für Schutzsuchende vorsehen, widersprechen dem individuellen Recht auf Asyl und dem Schutz geflüchteter Kinder und sind mit der Kinderrechtskonvention nicht vereinbar. Sie bergen die Gefahr, dass Kinder, die bereits in extremer Not sind, weiteren Gefahren ausgesetzt werden – beispielsweise durch Verelendung in Transitländern.
Die Alterseinschätzungen nach § 42f SGB VIII ist personell stark unterbesetzt. Dies hat zu einem Anstieg der Volljährigschätzungen geführt, sowohl im Rahmen der Inaugenscheinnahme durch die Jugendämter als auch durch medizinische Verfahren.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Kindeswohl im Migrationsrecht konsequent berücksichtigen: Die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls durch Gesetzgeber und Verwaltung muss auch im Asyl- und Migrationsrecht sowie in deren Schnittstellenbereichen konsequent gewährleistet und umgesetzt werden.
- Kein pauschales Einreiseverbot, keine Haft oder Flughafenverfahren für Minderjährige: Begleitete und unbegleitete Minderjährige müssen von Flughafenverfahren und Transithaft sowie von Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft gesetzlich explizit ausgenommen werden.
- Familientrennungen durch Haft ausschließen: Familientrennungen durch Haft müssen gesetzlich ausgeschlossen werden. Dafür sind verbindliche Prüfungspflichten in Gerichtsverfahren zur Abschiebungshaft einzuführen und gesetzlich festzulegen, dass vorrangig Alternativen zur Haft für Familien angewendet werden.
- Familiennachzug erleichtern und Geschwisternachzug ermöglichen: Der Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten soll dem von anerkannten Geflüchteten gleichgestellt werden. Der Begriff der Kernfamilie ist dabei auf Geschwister auszuweiten. Es muss gewährleistet werden, dass Geschwister von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten unverzüglich nachziehen können – entweder gemeinsam mit den Eltern oder, sofern es dem Kindeswohl dient, auch unabhängig von ihnen (Geschwisternachzug).
- Im Zweifel für die Minderjährigkeit: Bei Verfahren zur Alterseinschätzung muss das Prinzip „Im Zweifel für die Minderjährigkeit!“ gelten, bis das Alter eindeutig geklärt ist. Im Zweifelsfall ist eine rechtliche Vertretung und die Unterbringung in der Jugendhilfe sicherzustellen. Darüber hinaus muss der Rechtsschutz leicht zugänglich sein, und die Betroffenen brauchen eine unabhängige und engmaschige Beratung und Begleitung in ihrer Erstsprache.
- Kinder mit Behinderung
Fachkräftemangel und niedrig qualifiziertes Personal beeinträchtigen die Lebens- und Entwicklungschancen von Kindern – insbesondere von Kindern mit Behinderung. Der erhebliche Personalmangel in kindheitsbezogenen Handlungsfeldern führt zu einem Mehr an Barrieren, die ihre Teilhabe an Bildung (Schule, Hobbys), Gemeinschaft (Vereine, Freund:innen) und Gesellschaft (Infrastruktur, soziale Anerkennung, politische Partizipation) einschränken. Gleichzeitig fehlen Möglichkeiten und Räume, in denen Kinder ein gutes Leben entwickeln können.
Besonders das Miteinander von Kindern mit und ohne Behinderung leidet unter dem Fachkräftemangel. Die Implementierung und Etablierung inklusiver Prozesse erfordert umfassende und vielschichtige Handlungs- und Reflexionskompetenzen. Das bedarf neben fundierten und vernetzten Kenntnissen über personale und gesellschaftlich-strukturelle Bedingungen von Behinderungsgeschehen, Barrieren, deren Abbau und die Entwicklung von angemessenen Vorkehrungen auch vertiefte Kompetenzen in der Beziehungsgestaltung und der Reflexion von Anerkennungsprozessen. Kontinuierliche Fort- und Weiterbildungen sind daher unverzichtbar.
Auch regionale Unterschiede in der Ausstattung von Krippen, Kindertagesstätten und Horten führen zu ungleichen Entwicklungschancen. Da die Personalverordnungen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Frühförderung und Eingliederungshilfe von den Ländern und Kommunen geregelt werden, ergeben sich erhebliche Unterschiede in den Lebensbedingungen von Kindern. Besonders betroffen sind Kinder mit Beeinträchtigungen und (drohender) Behinderung. Je nach Wohnort werden dadurch Barrieren entweder geschaffen oder abgebaut.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Stärkung der pädagogischen Professionen: Es braucht wirksame Maßnahmen zur Stärkung der pädagogischen Berufe in den außerschulischen und schulischen Bereichen (Kindheitspädagogik, Sozialpädagogik, Heilpädagogik, Erzieher:in, Heilerziehungspfleger:in, Lehramt). Die Bedeutung dieser Berufe für ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander muss durch umfassende Fort- und Weiterbildungen gestärkt werden.
- Einheitliche und bedarfsgerechte Personalausstattung: Kindertageseinrichtungen, Frühförderung sowie ambulante, teilstationäre und stationäre Jugendhilfe müssen unabhängig vom Wohnort der Kinder einheitlich und nach hohen Standards personell ausgestattet werden.
- Verankerung von Inklusion in der Fachkräfteausbildung: Die Belange von Kindern mit Behinderung sollen in den Curricula der Qualifikationen zur insoweit erfahrenen Fachkraft systematisch verankert werden, um eine professionelle Unterstützung zu gewährleisten.
- Ökologische Kinderrechte – nachhaltige Entwicklung und Klimagerechtigkeit
Die Klimakrise stellt eine der größten Bedrohungen für die Zukunft von Kindern und Jugendlichen dar. Sie schreitet mit zunehmender Geschwindigkeit voran und trifft besonders jene, die an politischen Entscheidungsprozessen kaum beteiligt sind, jedoch massiv unter den Folgen und langfristigen Auswirkungen leiden.
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen und fordern von der Politik konsequentes nachhaltiges Handeln für Natur-, Umwelt- und Klimaschutz ein. Die Folgen der Klimakrise – etwa Hitzewellen, Luftverschmutzung, Wasserknappheit und klimabedingte Migration – treffen Kinder als besonders vulnerable Gruppe besonders hart, da sie sich selbst vor diesen Gefahren nicht schützen können.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Recht auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt: Das eigenständige Recht auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt muss anerkannt und gesetzlich verankert werden.
- Internationale Klimafinanzierung auf Kinder und Jugendliche ausrichten: Globale Klimafonds sollen gezielt Programme fördern, die die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen adressieren. Zusätzlich müssen ausreichende Mittel in die Krisen- und Katastrophenprävention sowie in den Aufbau widerstandsfähiger Infrastrukturen investiert werden, um bereits vom Klimawandel betroffene Kinder zu unterstützen.
- Stärkung der gesamtgesellschaftlichen Solidarität: Maßnahmen, die die Solidarität zwischen Generationen und Bevölkerungsgruppen fördern, müssen ausgebaut werden, um gemeinsame Strategien gegen die Klimakrise zu entwickeln.
- Umsetzung des General Comment Nr. 26 (2023): Die Empfehlungen des General Comment Nr. 26 des UN-Kinderrechtsausschusses zu Kinderrechten, Umwelt und Klimawandel müssen schnellstmöglich umgesetzt werden.
- Ausrichtung politischer Maßnahmen an internationalen Vereinbarungen: Alle politischen Maßnahmen müssen an völkerrechtlichen Vereinbarungen ausgerichtet werden, insbesondere dem Pariser Klimaabkommen, dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), dem General Comment Nr. 26 des UN-Kinderrechtsausschusses und den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 (SDGs).
II Übergeordnete kinderrechtliche Anliegen
- Kinderrechte-Monitoring und datenbasierte Berichterstattung
Bisher fehlt in Deutschland ein umfassendes Kinderrechte-Monitoring, das die in der UN-Kinderrechtskonvention formulierten Rechte im Hinblick auf ihre Umsetzung überprüft. Eine datenbasierte Berichterstattung, wie sie vom UN-Ausschuss seit Jahrzehnten gefordert wird, existiert nicht. Dies erschwert die Messung und Evaluation politischer Maßnahmen und Gesetze.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Einführung eines Kinderrechte-Monitorings: Die bestehenden Datenlücken im Bereich Kinderrechte müssen durch die Einführung eines umfassenden Kinderrechte-Monitorings geschlossen werden. Dieses Monitoring soll auf der Grundlage einer differenzierten und vergleichbaren Datengrundlage erfolgen, die bundesweite Analysen ermöglicht und darauf abzielt, die Wirksamkeit politischer Maßnahmen, Förderprogramme und Gesetze systematisch zu überprüfen.
- Bereitstellung finanzieller Mittel für das Monitoring: Die Bundesregierung sollte dafür die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen.
- Kinderrechte ins Grundgesetz
Auf Bundesebene fehlt bislang eine umfassende, ressortübergreifend abgestimmte Gesamtstrategie zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland. In den vergangenen Legislaturperioden scheiterte die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz. Aus Sicht der National Coalition Deutschland ist die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz jedoch dringend erforderlich, um sicherzustellen, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Verwaltung und Gesetzgebung systematisch berücksichtigt werden.
Die zukünftige Bundesregierung muss eine Formulierung erarbeiten, die den Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) entspricht und die Position von Kindern und Jugendlichen nachhaltig stärkt. Dabei ist das Wohl des Kindes nicht nur angemessen, sondern vorrangig zu berücksichtigen.
Der UN-Kinderrechtsausschuss hat Deutschland in seinen Concluding Observations bereits vier Mal (1995, 2004, 2014 und 2022) aufgefordert, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Die National Coalition teilt diese Forderung und sieht die Bundesregierung in der Verantwortung, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Im kommenden Staatenbericht, der bis zum 24. April 2027 dem UN-Ausschuss vorzulegen ist, wird Deutschland über die Fortschritte bei der Umsetzung der Kinderrechte berichten müssen.
Unsere Forderung an die Politik:
- Verankerung der Grundprinzipien der UN-KRK im Grundgesetz: Die Grundprinzipien der UN-KRK müssen ausdrücklich im Grundgesetz verankert werden. Dabei ist sicherzustellen, dass Kinderrechte subjektiv einklagbare Rechtsansprüche begründen, der Vorrang des Kindeswohls garantiert wird, Beteiligungsrechte umfassend berücksichtigt werden, ein kindspezifisches Recht auf Entwicklung sowie der Schutz- und Förderauftrag gesetzlich verankert wird.
- Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche haben aufgrund fehlender politischer Rechte – insbesondere des Wahlrechts und der Möglichkeit, politische Mandate wahrzunehmen – bislang keine umfassenden Mitwirkungsmöglichkeiten an politischen Entscheidungen sowie an der Ausarbeitung und Anwendung von Gesetzen. Bestrebungen, Jugendliche an Wahlen auf Landes- und Kommunalebene zu beteiligen, sind zu begrüßen. Auf Bundesebene steht jedoch eine Absenkung der Wahlaltersgrenze weiterhin aus.
Die politische Beteiligung junger Menschen sollte bundesweit ausgebaut und einheitlich geregelt werden. Demokratie und Mitbestimmung müssen frühzeitig in allen Bildungskontexten wie Kitas, Schulen, Vereinen und Selbstorganisationen ermöglicht, vermittelt und gelebt werden. Durch eine aktive Mitgestaltung von Entscheidungsprozessen können Kinder und Jugendliche ein Verständnis für demokratische Prinzipien entwickeln, Verantwortung übernehmen und erfahren, wie sie ihre Meinung äußern und Einfluss nehmen können.
Jugendverbände sowie Kita- und Schulfördervereine spielen hierbei eine zentrale Rolle. Sie fungieren als Schnittstellen zwischen Schule, Gesellschaft und Politik und schaffen Raum für eine aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Um dieses Engagement nachhaltig zu fördern, sind strukturelle Förderungen für die Landesverbände der Jugendverbandsarbeit sowie der Kita- und Schulfördervereine notwendig.
Die Mitbestimmung von Schüler:innen, wie sie in den Schulgesetzen der Bundesländer vorgesehen ist, bleibt oft auf Randbereiche beschränkt und verändert wenig an den ungleichen Machtstrukturen, die adultistisches Verhalten in Schulen begünstigen. Die Einrichtung unabhängiger Beratungs- und Beschwerdestrukturen an Schulen, wie sie in einigen Bundesländern vorgesehen ist, kann dem entgegenwirken. Sie muss jedoch mit einer umfassenden Partizipation der Schüler:innen in allen sie betreffenden Angelegenheiten einhergehen und eine grundlegende Demokratisierung der Schulen vorantreiben.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Absenkung der Wahlaltersgrenze: Die Wahlaltersgrenze für Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen sowie für Bürgerentscheide oder -begehren soll abgesenkt werden.
- Förderung von Jugendverbänden: Jugendverbände sollen als demokratische Formen der Selbstvertretung und Interessenvertretung junger Menschen mit einem angemessenen und bedarfsgerechten Budget gefördert werden.
III. Appell: Kinder stärken, Rechte sichern!
Die National Coalition Deutschland appelliert an die politischen Parteien, die Bundestagswahl 2025 zu nutzen, um die Rechte und Interessen von Kindern und Jugendlichen konsequent in den Mittelpunkt zu stellen und das Kindeswohl vorrangig zu behandeln. Es geht nicht allein um Gewinner:innen bei dieser Wahl, sondern um Werte, Verantwortlichkeiten und darum, was für kommende Generationen relevant ist.
Ein kinderrechtsbasierter Ansatz in allen politischen Handlungsfeldern ist unverzichtbar, um nachhaltige und gerechte Zukunftsperspektiven zu schaffen. Die entschlossene Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und die gesetzliche Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz sind dafür zentrale Maßnahmen. Nur so können Kinder und Jugendliche nicht nur geschützt, sondern auch als zentrale Akteur:innen und Mitgestalter:innen einer zukunftsfähigen Gesellschaft anerkannt werden.
Angesichts der drängenden Herausforderungen – von der Klimakrise über soziale Ungleichheit bis hin zur Digitalisierung – braucht es verbindliche Strategien zur Armutsbekämpfung, für den Ausbau kind- und jugendgerechter Bildungssysteme sowie gezielte Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Diskriminierung. Darüber hinaus ist der Ausbau von Beteiligungsformaten für junge Menschen essenziell, damit ihre Perspektiven in politischen Entscheidungen berücksichtigt werden.
Besonders besorgniserregend ist der Zustand der psychischen Gesundheit der heranwachsenden Generation. Dieser ist ein Gradmesser dafür, wie widerstandsfähig Kinder und Jugendliche gegenüber Belastungen sind und wie gut eine Gesellschaft auf die Herausforderung reagiert, ihre Kinder zu schützen und zu stärken. Der zunehmende Bedarf an psychotherapeutischer Unterstützung, verbunden mit unzureichenden Strukturen und Kapazitäten, macht die Dringlichkeit von Maßnahmen in diesem Bereich überdeutlich.
Eine kinderfreundliche Politik ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch eine notwendige und zukunftsweisende Investition in die Gesellschaft. Investitionen in Kinder und Jugendliche haben nicht nur eine ökonomische Bedeutung, sondern legen die Grundlage für eine gerechte, resiliente und nachhaltige Zukunft.
Nur durch eine Politik, die die Bedürfnisse und Anliegen der jungen Generation ernst nimmt, diese aufgreift und durch eine kinderrechtsbasierte Haushaltsplanung untermauert, kann eine gerechte Gesellschaft für alle gelingen.
Die Stellungnahme finden Sie hier als PDF.
- Anlagen
- Link zur Übersicht aller Forderungen (evtl. Aufbereitung der Forderungen des Zwischenberichts in einfacher Sprache für eine Social-Media-Kampagne zur BTW 25)
- Hinweis auf die Stellungnahmen unserer Mitglieder, gebündelt auf der Website www.netzwerk-kinderrechte.de
- Leitbild für Demokratie – Netzwerk Kinderrechte
- Quellen
- Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (2024): Child Public Health – COPSY-Studie. Verfügbar unter: UKE – Pressemitteilung – Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch globale Krisen belastet [Zugriff am 04. Februar 2025].
- Konrad-Adenauer-Stiftung (2021): Wahlbeteiligung und Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht in Deutschland. Konrad-Adenauer-Stiftung. Verfügbar unter: 4c2323f8-d1a0-e2d0-cab9-91f3159699ed [Zugriff am 04. Februar 2025].
- UNICEF (2024): Gutachten: Investitionen in Kinder wirkungsvoll gestalten. Verfügbar unter: Microsoft Word – Gutachten Investitionen in Kinder_ UNICEF_21_08_2024 [Zugriff am 04. Februar 2025].
- AFET: Informationsplattform zum Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG). AFET-Bundesverband. Verfügbar unter: Informationsplattform zum KJSG / AFET [Zugriff am 04. Februar 2025].
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (2023): Aktuelle Zahlen zu Asyl, Juni 2023. Verfügbar unter: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-juni-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [Zugriff am 04. Februar 2025].
- Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) (2023): General Comment No. 26 on Children’s Rights and the Environment. Verfügbar unter: https://www.ohchr.org/en/documents/general-comments-and-recommendations/crccgc26-general-comment-no-26-2023-childrens-rights [Zugriff am 04. Februar 2025].
- National Coalition Deutschland- Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtkonvention (2024): Leitbild für Demokratie und Vielfalt. Verfügbar unter: Leitbild für Demokratie – Netzwerk Kinderrechte [Zugriff am 04. Februar 2025].
- National Coalition Deutschland- Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtkonvention (2023): Zwischenbericht zur Kinderrechtssituation in Deutschland. Verfügbar unter: NC_ZwischenBericht-final.pdf [Zugriff am 04. Februar 2025].