Am 17. Oktober 2024 fand die alljährliche gemeinsame Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ und der National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention zum Thema „Investitionen in Kinder und Jugendliche – Prioritäten setzen in Zeiten knapper Kassen“ statt.
Franziska Porst, Geschäftsführerin der AGJ stellte die Hintergründe der diesjährigen Themensetzung vor und führte durch die Veranstaltung. Mit Blick auf den Haushalt 2025 seien von Seiten des Finanzministeriums in der zweiten Jahreshälfte 2024 große Sparpläne formuliert worden. Um die Neuverschuldung Deutschlands zu begrenzen und die Schuldenbremse einzuhalten, sollten 20 Milliarden Euro eingespart werden. In Zeiten solch knapper Kassen werde gern an erster Stelle im sozialen Bereich gekürzt – auch bei den Ausgaben für Kinder und Jugendliche. In Konsequenz sei mit dem geplanten Budget des Bundesfamilienministeriums auch 2025 keine effektive Kindergrundsicherung möglich, keine bedarfsgerechte und dynamisierte Ausstattung des Kinder- und Jugendplan (KJP) machbar und auch keine Mittel für den Nationalen Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ vorgesehen.
Wie Prof. Dr. Karin Böllert (Vorsitzende der AGJ) in ihrem Grußwort deutlich machte, seien Sozialausgaben jedoch kein Luxus. Sie stellen eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft dar. Dies werde besonders deutlich, wenn es um Infrastrukturen für und finanzielle Besserstellung von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien ginge.
Genau das zeigte auch das von UNICEF in Auftrag gegebene Gutachten: Fehlen notwendige Investitionen hat dies Auswirkungen auf die Lebensrealität von Kindern und die Verwirklichung von Kinderrechten.
Ergebnisse des Gutachtens “Investitionen in Kinder wirkungsvoll gestalten”
Jan Braukmann (Referent Advocacy und Politik, UNICEF Deutschland) erläuterte den Hintergrund des Gutachtens: Es fehle bisher eine strukturierte Übersicht zu wirksamen Investitionen in Kinder und Jugendliche, dadurch sei auch eine Überprüfung dieser Investitionen nur schwer möglich. Außerdem werde nach wie vor zu oft ausgeblendet, dass heutige Kürzungen an Investitionen dazu führen, dass die kommende Generation nicht ihr volles Potenzial nutzen könne.
Das Gutachten “Investitionen in Kinder wirkungsvoll gestalten” enthalte deshalb zum einen eine Bestandsaufnahme der Investitionen in Kinder und Jugendliche, überprüfe deren Wirksamkeit und zeige darüber hinaus, dass es nicht nur aus gesellschaftlicher und kinderrechtlicher Perspektive, sondern auch aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll sei, an Kindern zu sparen.
Dr. Wido Geis-Thöne (Senior Economist für Familienpolitik und Migrationsfragen beim Institut der Deutschen Wirtschaft) ist einer der Autoren des Gutachtens und stellte die wichtigsten Inhalte und Ergebnisse vor. Das Gutachten nenne die drei Wirkungsfelder Bildung, Gesundheit und Sozialisation, in denen Deutschland jeweils im Vergleich der OECD-Länder nur im Mittelfeld liege. Schon heute investiere Deutschland in diese Bereiche. Aber die IW-Autoren seien zu dem Schluss gekommen, dass andere Länder wie Kanada und Dänemark deutlich erfolgreicher sind und bei einer effizienteren Investitionspolitik für Kinder als Vorbild dienen können. Der Förderung besonders benachteiligter Kinder kommt hierbei eine große Bedeutung zu.
Das IW-Gutachten beleuchtet das Startchancen-Programm als ein Beispiel für den bewussten strategischen Einsatz von Mitteln für benachteiligte Kinder. Das Programm von Bund und Ländern fördert in den kommenden zehn Jahren gezielt Schulen, die aufgrund der Zusammensetzung der Schülerschaft einen Mehreinsatz von Ressourcen benötigen, damit jedes Kind die Chance auf einen erfolgreichen Bildungsweg erhalte.
Auf Nachfragen aus dem Publikum, ob es Untersuchungen zu den Auswirkungen des Ganztagsausbaus gebe, wurde auf folgende Studie verwiesen: https://home.uni-leipzig.de/lifechild/
How Insufficient Investment Impacts Children’s Rights and their Lived Experiences: Advocacy Strategies for Change
Dr. Ally Dunhill (Director of Policy, Advocacy and Communications at Eurochild) erläuterte die Bedeutung von Investitionen in Kinder für die Verwirklichung ihrer Rechte anhand von Länderbeispielen und in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Ernährung und sichere Wohnverhältnisse. Dabei bezog sich Dunhill vor allem auf Beispiele aus Plänen und Berichten zur Umsetzung der EU-Kindergarantie. Sie zeigte auch auf, wie unzureichende Investitionen in die Infrastruktur zur Ausgrenzung und ökonomischer Ungleichheit von Kindern und Familien führe.
Schließlich referierte Dunhill zu Erkenntnissen aus der Advocacy-Arbeit. Regierungsvertreter:innen und politischen Entscheidungsträger:innen müssten mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Bedeutung und den langfristigen Wert dieser Investitionen aufmerksam gemacht werden. Des Weiteren sei eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch Kampagnen bedeutsam. Auch die Einbindung der von Ausgrenzung und Ungleichheit betroffenen Communities in die Advocacy-Arbeit und die Beteiligung der Kinder selbst sei sehr wichtig, betonte Ally Dunhill.
Auf Nachfrage aus dem Publikum verwies Dunhill hier auf das Beispiel des Eurochild-Projekts Poverty takes away the right to childhood – Eurochild.
Im Schlusswort der Veranstaltung machte Üwen Ergün (Sprecher des Netzwerks Kinderrechte) deutlich, dass der Fokus auf die Volkswirtschaftlichen Folgen fehlender Investitionen den Blick auf das primäre Ziel, die Verwirklichung der Rechte aller Kinder, nicht versperren dürfe.
Auf der Veranstaltung wurde deutlich, dass Advocacy-Arbeit, die sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen und gegen Armut und Ausgrenzung junger Menschen stark macht, sowohl die volkswirtschaftliche wie auch die kinderrechtliche Argumentation strategisch einbeziehen sollte.
Als Partnernetzwerke der europäischen Kinderrechtsorganisation Eurochild arbeiten die AGJ und das Netzwerk Kinderrechte eng zusammen und erarbeiten jedes Jahr gemeinsam einen Beitrag Flagship Report von Eurochild, der die Rechte und Lebenssituation von Kindern in der EU für die einzelnen Länder und mit Bezug auf die Dokumente zum Europäischen Semester in den Blick nimmt. Damit übernehmen beide Organisationen eine Brückenfunktion zwischen europäischen und deutschen Debatten. Mit der jährlichen Veranstaltung soll dieser Austausch weiterbefördert werden. Vor diesem Hintergrund wurden die rund 70 Teilnehmenden zum Ende der Veranstaltung zur Anregung von Themen für die Befassung im nächsten Jahr gebeten: Ergebnisse Menti-Umfrage als PDF.