Kinderfreundlichkeit muss mehr sein, als Gegenstand von politischen Sonntagsreden
Wir trauern um Dr. Antje Vollmer. Die frühere Bundestags-Vizepräsidentin, Pastorin und Grünen-Politikerin ist am 15.03.2023 im Alter von 79 Jahren nach langer, schwerer Krankheit gestorben.
Wir möchten ihrem Sohn und den Angehörigen unser tiefes Mitgefühl aussprechen.
Antje Vollmer war die erste grüne Vizepräsidentin des Bundestags und bekleidete dieses Amt von 1994 bis 2005. Für die National Coalition übernahm sie von 2003-2006 das Amt als Schirmfrau und unterstützte uns in diesem Zeitraum engagiert und mit großer Tatkraft bei der Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen. Ein Dorn im Auge war ihr die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention, die der vollständigen Anerkennung und Umsetzung der Konvention entgegenstand. Der Vorbehalt, der erst im Jahr 2010 zurückgenommen wurde, bezog sich wesentlich auf Regelungen der Einreise und des Aufenthalts von ausländischen Kindern in Deutschland.
„Leider werden Flüchtlingskindern nach wie vor völkerrechtliche Mindestgarantien, die Gültigkeit für alle Kinder haben sollten, nicht zugestanden. Ich denke, dass die Rücknahme des Vorbehalts im Interesse einer an der Würde auch von Flüchtlingskindern orientierten Politik und Verwaltungspraxis längst überfällig ist.“ (National Coalition 2005: Kinderrechte verwirklichen. Festschrift 10 Jahre National Coalition. S. 21)
Zum zehnjährigen Bestehen der National Coalition zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 2005 mahnte Antje Vollmer in ihrem Grußwort an, dass Kinderfreundlichkeit mehr sein muss, als Gegenstand von politischen Sonntagsreden.
„Mag sein, dass unsere Gesellschaft nicht kinderfeindlich ist, fremdeln tut sie mit Kindern allemal. Bis 1990 hatten fast 60 Prozent der Frauen zwischen 21 und 29 Jahren Kinder. Heute sind es noch gerade 29 Prozent. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe: Zu wenig Kindertagesstätten, besonders für Kinder unter drei Jahren, zu wenig schulische Angebote, mit denen sich Berufstätigkeit und Kindererziehung verbinden lassen. Kinder, vor allem in Alleinerzieher-Familien, sind ein Armutsrisiko: 42 Prozent aller Kinder in der Bundesrepublik sind innerhalb eines Jahres auf staatliche finanzielle Unterstützung in irgendeiner Form angewiesen. Bei Kindern unter drei Jahren steigt dieser Anteil auf erschreckende 52 Prozent. Auf all diesen Feldern liegen große politische Gestaltungsaufgaben, denen ein wirklicher Skandal zugrunde liegt.“ (ebd. S.22)
Worte, die auch heute nicht an Gültigkeit verloren haben, so liegen, wie Antje Vollmer im Jahr 2005 vorhersah, „unzählige weitere Jahre und das Bohren dicker Bretter noch vor uns. Eine kindergerechte Gesellschaft, so wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention propagiert wird, ist ein Ziel, für das sich unser gemeinsamer Einsatz lohnt.
Wir danken Dr. Antje Vollmer für ihren Einsatz und Engagement von ganzem Herzen!
Kirsten Schweder