Die Arbeit von Richterinnen kenne ich nur aus Romanen und Fernsehserien. Im April 2021 durfte ich nun auf Einladung der Universität Leiden für einen Tag Richterin in der Simulation eines Gerichtsprozesses sein. Regelmäßig veranstaltet die Universität Leiden gemeinsam mit Partnern, diesmal der Anwaltskanzlei BakerMcKenzie, einen “Moot Court”: Studierende schlüpfen in die Rolle der Anklage oder der Verteidigung.
Individualbeschwerde vor dem UN-Ausschuss für Kinderrechte
In diesem Jahr handelt es sich um einen fiktiven Fall, der als Individualbeschwerde beim UN-Ausschuss für Kinderrechte eingereicht werden soll. Die Studierenden sollen in Teams argumentieren, warum der Fall aufgrund des 3. Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention als Individualbeschwerde zulässig ist und was inhaltlich die kinderrechtliche Beschwerde darstellt. Den fiktiven Fall hat die Universität Leiden erarbeitet, den Studierenden zur Verfügung gestellt und auf Nachfragen geantwortet. Etwa 80 Teams haben sich beteiligt. Ich habe drei Klageschriften zur Beurteilung, weiteres unterstützendes Material und eine Einführung erhalten.
Kinder, die im Kriegsgebiet geboren werden
Der fiktive Fall ist inspiriert von der Rebellengruppe ISIS und der Anziehungskraft, die sie auf europäische Jugendliche und junge Erwachsene ausgeübt hat. Eine junge Lehrerin aus dem westlichen Land Albion überzeugt drei ihrer minderjährigen Schülerinnen, ihr in die fiktive Region Gea Minor zu reisen und sich dort den Rebellen anzuschließen. Dort angekommen, nehmen sie unterschiedliche Aufgaben für die Rebellen wahr, rekrutieren neue Kämpfer oder führen Selbstmordattentate durch. Alle vier Frauen werden von Kämpfern schwanger und bekommen Kinder. Im Verlaufe des Kriegsgeschehens werden die jungen Mütter und ihre Kinder von einer anderen Rebellengruppe gefangen genommen. In dieses Gefangenenlanger reist ein Vater einer der jungen Mütter und spricht dort mit dem Lagerkommandanten. Die Anwälte des Vaters bereiten nun die Individualbeschwerde vor und versuchen die jungen Frauen und deren Kinder nach Albion zurückzuholen.
Keine weiteren Fragen, Euer Ehren
Die Klageschriften, die ich gelesen haben, befassen sich mit der Verantwortung des Herkunftsstaates der jungen Mütter, mit den Konsequenzen ihrer Rückführung, mit den Rechten der Kinder und deren Nationalität. Viele kinderrechtliche Fragestellungen nach dem Recht auf Identität, dem Recht auf einem angemessenen Lebensstandard und nicht zuletzt dem Kindeswohlvorrang werden ausgearbeitet.
Mir gefällt diese Art der agilen Hochschuldidaktik, in einem sicheren Rahmen echte Vorgänge zu simulieren. Konsequenzvermindert, also ohne tatsächliche Folgen ihres Handelns, können Studierende der Rechtswissenschaften sich in einen Sachverhalt hineindenken, eine Strategie besprechen und umsetzen. Die Urteilsverkündung findet am Mitte Juni 2021 statt.