Welche Themen prägen derzeit die Kinderrechte auf nationaler Ebene? Welche neuen politischen und rechtlichen Entwicklungen gibt es? Und was bedeuten sie konkret für Kinder und Jugendliche?
Mein Name ist Michelle und ich begleite wöchentlich auf Social Media sowie monatlich hier im Blog die Serie „Kinderrechte Aktuell“. Diesen Monat geht es um das Thema Bildung, Chancengleichheit und die Qualität unseres Bildungssystems, von der Kita bis zur weiterführenden Schule. Gleich mehrere Entwicklungen zeigen, wie eng Kinderrechte, Bildungsgerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe miteinander verknüpft sind.
Bund investiert 4 Milliarden Euro in frühkindliche Bildung und Kita-Qualität
Der Bund und die Länder haben sich auf die Umsetzung des weiterentwickelten KiTa-Qualitäts- und -Teilhabeverbesserungsgesetzes (KiQuTG) für die Jahre 2025 und 2026 geeinigt. Bundesbildungsministerin Karin Prien hat inzwischen alle 16 Bund-Länder-Verträge unterzeichnet und damit den Weg für die Finanzierung freigemacht. Der Bund stellt den Ländern insgesamt rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, um die Qualität der frühkindlichen Bildung weiter zu verbessern und die Teilhabe aller Kinder zu stärken.
Die neuen Verträge legen fest, in welchen sieben zentralen Handlungsfeldern die Länder die Mittel einsetzen dürfen – etwa beim bedarfsgerechten Ausbau von Betreuungsplätzen, bei besseren Fachkraft-Kind-Schlüsseln, bei der Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte, bei der Stärkung von Kita-Leitungen oder bei der Förderung einer gesunden Verpflegung und ausreichender Bewegung. Besonders wichtig ist, dass alle Länder verpflichtend in zwei Bereiche investieren: in die Fachkräftegewinnung sowie in die sprachliche Bildung der Kinder.
Mit dem Programm will der Bund nicht nur die Qualität in Kitas verbessern, sondern auch langfristig bundesweite Standards vorbereiten. Perspektivisch soll das KiQuTG von einem neuen Qualitätsentwicklungsgesetz abgelöst werden, das einheitliche Maßstäbe für Bildung, Betreuung und Erziehung im frühen Kindesalter festlegt. Grundlage für die Weiterentwicklung sind wissenschaftliche Evaluationen und Empfehlungen der Arbeitsgruppe Frühe Bildung, die bereits 2024 bundesweite Qualitätsziele vorgeschlagen hat.
Frühkindliche Bildung unter Druck: Fachkräftemangel und wachsender Betreuungsbedarf
Trotz sinkender Geburtenzahlen wächst die Nachfrage nach frühkindlicher Bildung. Immer mehr Eltern möchten ihre Kinder früher und über längere Zeiträume betreuen lassen, doch das System der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) gerät zunehmend an seine Grenzen.
Der anhaltende Fachkräftemangel in Kitas und der Rückgang von Kindertagespflegepersonen führen vielerorts zu Engpässen. Viele Beschäftigte berichten von hoher Arbeitsbelastung, was Abwanderungstendenzen verstärkt und die Personalsituation weiter verschärft. Gleichzeitig verändern demografische Entwicklungen die Ausgangslage: Während in Ostdeutschland die sinkenden Kinderzahlen schon länger erwartet wurden, zeigen sich nun auch in Westdeutschland rückläufige Geburtenzahlen.
Nach Jahren des Ausbaus stagnierte 2024 erstmals die Zahl der Betreuungsplätze. Dennoch erreichte der Bedarf von Eltern mit Kindern unter drei Jahren mit 52 Prozent einen neuen Höchststand. Besonders in Ostdeutschland ist der Wunsch nach Ganztagsbetreuung ausgeprägter als im Westen. Ein Fünftel der Eltern mit ein- oder zweijährigen Kindern hat trotz Bedarf keinen Betreuungsplatz, in Westdeutschland deutlich häufiger als im Osten. Besonders betroffen sind Familien mit Migrationsgeschichte, geringem Einkommen oder niedrigerem Bildungsabschluss, die trotz Rechtsanspruchs seltener einen Betreuungsplatz erhalten.
Insgesamt zeigt sich: Der Wunsch nach früher und umfassender Betreuung wächst, doch durch Fachkräftemangel, soziale Ungleichheiten und regionale Disparitäten gelingt es dem System der FBBE immer weniger, den steigenden Bedarf und die unterschiedlichen Bedarfsprofile der Familien abzudecken.
IQB-Bildungstrend: Sinkende Leistungen und wachsende Ungerechtigkeit
Der IQB-Bildungstrend 2024 zeigt deutlich, dass die Leistungen von Neuntklässler:innen in Mathematik und den Naturwissenschaften in den vergangenen Jahren gesunken sind. Im Vergleich zu 2018 erreichen deutlich weniger Schüler:innen die bundesweit durch die Kultusministerkonferenz festgelegten Bildungsstandards. Alle 16 Bundesländer sind betroffen, die Unterschiede zwischen den Ländern bleiben groß.
Besonders gravierend ist, dass die soziale Ungleichheit weiterhin stark ausgeprägt ist. Kinder aus bildungsfernen oder einkommensschwachen Familien sowie Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund erzielen im Durchschnitt geringere Ergebnisse.
Die Gründe für die negativen Entwicklungen sind vielfältig. Viele Jugendliche haben während der Corona-Pandemie wichtige Lernzeit verloren und bis heute mit den Folgen der Schulschließungen und eingeschränkten Förderung zu kämpfen. Gleichzeitig wirken sich soziale Unterschiede stärker denn je auf den Bildungserfolg aus. Auch sprachliche Hürden erschweren den schulischen Alltag vieler Schüler:innen mit Zuwanderungshintergrund, während fehlende systematische Sprachförderung die Ungleichheit verstärkt. Hinzu kommen psychische Belastungen, Leistungsdruck und Zukunftsängste, die sich negativ auf Motivation und Konzentration auswirken.
Erschwerend kommt der zunehmende Lehrkräftemangel hinzu, der vielerorts zu Unterrichtsausfall und geringerer Unterrichtsqualität führt. Immer mehr Jugendliche verlieren zudem das Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften.
Der Bildungstrend macht deutlich, dass Bildungsgerechtigkeit in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist. Damit das Recht auf Bildung für alle Kinder und Jugendlichen Realität wird, braucht es gezielte Förderung, gute Lernbedingungen und Unterstützung, die dort ansetzt, wo Benachteiligung entsteht.
Ferienbetreuung soll Rechtsanspruch werden – Bundesrat bringt Gesetzentwurf ein
Mit dem Beschluss vom 13. Juni 2025 hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) eingebracht. Ziel ist, dass künftig auch Angebote der Jugendarbeit den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder während der Schulferien erfüllen können. Damit sollen Kommunen mehr Flexibilität bei der Umsetzung erhalten und bestehende Ferienprogramme weiterhin nutzbar bleiben. Außerdem soll die Statistikpflicht zur Ganztagsbetreuung entfallen, um Bürokratie abzubauen. Das Gesetz soll zum 1. August 2026 in Kraft treten.
Mit dem neuen Gesetzentwurf will der Bundesrat sicherstellen, dass Kinder auch in den Schulferien ihr Recht auf Betreuung und Teilhabe wahrnehmen können – und zwar nicht nur in Kitas oder Ganztagsschulen, sondern auch durch vielfältige Angebote der Jugendarbeit.
Das stärkt die Umsetzung des Rechts auf Förderung und Chancengleichheit und sorgt dafür, dass kein Kind in den Ferien ohne passende Betreuung bleibt. Gleichzeitig werden Hürden für die Jugendhilfe abgebaut, damit Angebote vor Ort leichter entstehen können.
Fazit
Die aktuellen Entwicklungen zeigen deutlich, dass Kinderrechte nur verwirklicht werden können, wenn politische Absichten, rechtliche Rahmenbedingungen und praktische Umsetzung zusammenpassen. Investitionen in die frühkindliche Bildung, neue gesetzliche Initiativen zur besseren Betreuung, Fachkräftemangel und die Ergebnisse des aktuellen IQB-Bildungstrends zeigen: Es gibt Fortschritte aber auch strukturelle Herausforderungen.
Der Fachkräftemangel in Kitas und Schulen, soziale Ungerechtigkeiten beim Zugang zu Bildung und Betreuung sowie regionale Unterschiede gefährden die Chancengerechtigkeit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Gleichzeitig schaffen Programme wie das KiQuTG und die geplante Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Ferienbetreuung neue Möglichkeiten, um die Bildungs- und Betreuungslandschaft zu stärken und gerechter zu gestalten. Ob diese Chancen jedoch tatsächlich Wirkung entfalten, hängt davon ab, ob die Vorhaben langfristig mit nötigen Ressourcen, klaren Qualitätsstandards und Beteiligung von Kindern und Familien umgesetzt werden.
Auffällig bleibt jedoch auch, dass Kinderrechte in der politischen und öffentlichen Diskussion derzeit kaum sichtbar sind. Fragen danach, wie Kinder aufwachsen, lernen und beteiligt werden, rücken oft in den Hintergrund. Diese geringe Aufmerksamkeit steht in starkem Gegensatz zu der Bedeutung, die Kinder und Jugendliche für die Zukunft unserer Gesellschaft haben. Umso wichtiger ist es, Entwicklungen im Bereich der Kinderrechte sichtbar zu machen und Kinder wieder stärker in den Mittelpunkt der Diskussionen zu rücken.
Wenn Sie regelmäßig über aktuelle Entwicklungen zu Kinderrechten informiert bleiben möchten, folgen Sie uns auf Instagram und LinkedIn.


